Am 8. Dezember 1992 verstarb in Portland, Oregon, USA, Emma Finn-Hurliman. Sie kam mit ihren Eltern als Kleinkind nach Amerika. Obwohl sie im hohen Alter noch fliessend Schweizerdeutsch sprach, hat sie ihre erste Heimat zeitlebens nie besucht. Trotzdem kannte sie viele Verwandte anhand von Fotos, die sie aus Walchwil erhielt. Ihre Jugendgeschichte schrieb sie für die Kinder wie folgt nieder: Emma's Story Ich
bin am 9. November 1913 in meinem Vaterhaus auf dem Bauernhof Weissenschwändi
in Walchwil, Kanton Zug, Schweiz geboren. Mit
der Eisenbahn erreichten wir Portland, Oregon, am 27. Januar 1914. Wir gerieten
mit der Kutsche in einen schweren Sturm. Weil zwei umgeworfene Häuser neben
dem Bahnhof den Weg versperrten, waren wir gezwungen, einen Umweg auf der schlechten
Strasse zum "Hoyt" Hotel zu machen. Vater sagte, dies sei seine erste
Bekanntschaft mit dem fremden Land und ohne etwas Kenntnis seiner englischen Sprache.
Er hatte ein beklemmendes Gefühl für eine ungewisse Zukunft, die vor
ihnen lag. Bruder
Frank wurde am 1. Februar 1915 geboren. Am 1. Oktober 1915 zogen wir in unsere
inzwischen erworbene Farm in Woods, Oregon, um. Grossvater, Vater und Onkel Clem kauften die Farm unter dem Namen "Hurliman & Sons". Alle drei mussten den Vertrag mit ihren persönlichen Unterschriften signieren. Hier wurde ihnen erstmals bewusst, dass in diesem Land auch in der Familie der Handschlag nichts mehr Wert war, wie sie sich das von früher gewohnt waren. Vater erzählte noch Jahre später darüber. Marie wohnte mit den Grosseltern in einem anderen Hause auf der Farm, das als Schulhaus benützt wurde. 1919 verheiratete sich der verwitwete Onkel Clem mit Katharina Trinkler, die ihren Sohn Marzell in die Ehe brachte. Sie bezogen zusammen mit Marie ein weiteres Haus auf der Farm. In
der Zwischenzeit wuchs unsere Familie weiter heran: Ida wurde am 22. März
1916 geboren, Josef am 26. November 1917. Unsere Familie wuchs weiter an: Agnes wurde am 10. Januar 1920 geboren, Alois am 6. Oktober 1921 und Pauline am 7. April 1923. Grossvater besuchte die Schweiz im Jahre 1920. Er kehrte mit Mutters Bruder Alois zurück. Am 7. August 1924 verliessen uns Grossmutter und Grossvater um in Walchwil nach dem Rechten zu sehen. Grossmutter wollte mich, ihr kleines "Meitli", wie sie mich immer liebevoll nannte, mitnehmen. Mutter konnte das aber, vielleicht in weiser Vorahnung, verhindern. Grossmutter verstarb am 7. November 1924 unversehens an einer Lungenentzündung. Sie starb in der Weissenschwändi, von der sie Jahre zuvor weggezogen war. Eines
Tages blieb ich nach der Schule bei Grossmutter. Grossvater brachte am Vormittag
die Milch in die Käserei und kam manchmal erst abends nach dem Melken nach
Hause. Da wurde Grossmutter ohnmächtig. Ich erschrak zutiefst. Während
ich aus dem Hause rannte, um Hilfe zu holen, hörte ich Grossmutter laut rufen,
sie war auf den Boden gefallen. Sofort ging zurück und legte sie auf das
Kanapee, sie fühlte sich sehr schwach. Wieder auf der Strasse, schreite ich
zu unserem Haus hinüber um Hilfe. Mutter war gerade mit Tante Katharina am
Kaffee. An dem Tag sah ich Mutter zu ersten Mal springen. Tante Katharina war
noch aufgeregter als ich. Die beiden Frauen kümmerten sich um Grossmutter.
Dabei stöhnte Tante Katharina heftig und gab ganz eindeutige Geräusche
von sich, die mit ihrem Geruch bald die Stube einhüllten. Grossmutter hatte immer das Gefühl, ich sei zu dünn. Manchmal brachte sie mir ein Butterbrot auf den Schulhof. Ich aber sagte, ich dürfe in der Schule nicht essen. Sie war darob enttäuscht, denn sie hatte auf das Butterbrot extra ein wenig Zucker geträufelt. Eines Tages begleitete ich Grossmutter in Robidee's Laden um einzukaufen und uns zu wägen. Wir gingen hinter unserer Scheune über das Feld zum Bach, über den ein 12 Zoll breiter Balken gelegt war. Ich balancierte über den Steg, Grossmutter folgte mir. Als ich zurückschaute, bemerkte ich wie sie auf allen Vieren über den Balken robbte. Sie meinte, dass wir auf dem Heimweg den normalen Weg über die grosse Brücke nehmen sollten. Mr. Robidee wog uns auf einer grossen Waage mit einer grossen Anzeige. Grossmutter wog 96 Pfund, ich 69. Sie konnte nicht begreifen, warum sie weniger wiegen sollte als ich, war ich doch kleiner und schmaler. Wie sollte sie das nur Grossvater erklären. Erst als ich ihr klar machte, dass man in Amerika die Zahlen in der umgekehrten Reihenfolge ausspricht als in der Schweiz, begann sie zu schmunzeln. Grossmutter hatte ein rotes Huhn, das sie "Bartli" nannte. Jeden Morgen kam das Huhn und legte neben dem Hühnerhaus sein Ei in eine Schachtel in der Ecke. Grossmutter hatte es so erzogen, dass es nach dem Legen kurz gackerte und sich wieder zu den anderen Hühnern in Stall gesellte. Bevor Grossvater und Grossmutter uns verliessen, kauften Vater und Onkel Clem seinen Anteil an der Farm, sie war nun Eigentum der "Hurliman Brothers". Im Dezember 1925 verkauften auch Onkel Clem und Tante Katharina ihren Anteil. Alle Schulden der Farm lasteten nun auf Vaters Schultern allein. 1925 heiratete Grossvater Adelheid Müller. Er lebte mit ihr bei seiner Tochter Marianne und ihrem Ehemann Anton Müller, der dann am 30. Juli 1929 starb. Grossvater regelte im gleichen Jahr auch den Grundbesitz in Walchwil. Er hatte mit Onkel Clem abgemacht das Schwändeli seiner Tochter Marianne zu verkaufen und den anderen Hof, auf dem er selber lebte, die Weissenschwändi, Adelheid zu übertragen. Adelheid sagte, dass Marianne und ihr Mann mit Grossvater oft sehr Böse waren. Darum
heiratete er wahrscheinlich Adelheid. Sie war Krankenschwester und kümmerte
sich sehr gut um ihn. Nachdem Grossvater gestorben war, heiratete sie wieder. Clem und ich kamen im Mai 1926 in die achte Klasse. Wir gingen nicht in die High School. Unsere Hilfe wurde auf der Farm gebraucht. Ich arbeitete im Hause. Kochen, Geschirr abwaschen, Kleider waschen, und immer bügeln. Das Bügeleisen wurde am Herd erhitzt. Samstags wurde das Haus sauber gemacht. Der grosse Tisch, Bank und Stühle wurden beiseite geschoben oder aus dem Hause getragen. Mit Bürste und Seifenwasser wurde der Boden gefegt. Später hatten wir Linoleum, da wurde das Reinigen viel einfacher. Waren wir aufmüpfig, hatte Mutter für uns immer die richtige, schlagfertige Antwort bereit. Wir nähten und stopften Arbeitskleider und Nietenhosen und wenn die Zeit gekommen war, hatten wir auch im Garten zu tun. Es blieb uns aber auch Zeit zum Spielen. Einmal wollten Ida und ich am Bach Torten aus Schlamm machen und sie vor dem Haus trocknen lassen. Als uns Mutter erblickte, rieb sie uns mit Wasser und Seife den roten Sand aus Kleidern und Händen, bis uns der Spass am Backen vergangen war. Wir hatten auch Papierpuppen. Wir bekleideten alle. Mütter, Väter und Kinder, drei ganze Familien, die arbeiteten und sich gegenseitig besuchten. Jede Puppe hatte einen Namen. Ich kann mich leider nicht mehr an die Namen erinnern. Aus Brettern bauten wir Flosse und Schuppen. Andere hänselten und stichelten uns wegen unserer Puppen. Aber wir hatten viel Spass daran und spielten besonders Sonntags viele Stunden mit ihnen. Als Kinder spielten wir nicht wie Kinder heute spielen. Mutter machte für uns ein Spiel mit neun Steinen, das "Nünischtei". Man brauchte dazu weisse und schwarze Knöpfe. Ich habe vergessen wie es gespielt wird. In späteren Jahren kam ein chinesischer Händler vorbei, der das Spiel kannte. Mutter spielte oft mit ihm. Sie konnte es sehr gut.
Karl
Josef Hürlimann mit seiner Familie ca. 1923 Josef Anton Hürlimann mit Familie ca. 1943
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